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03.07.2024, 20:07 Uhr

Heilloses Durcheinander

  • 26.07.2004
  • Allgemein

Heißes Wochenende in Sachen Union und Arbeitsmarkt: Hektisch, planlos und ohne Konzept

Gleich mit einer ganzen Serie offenkundig nicht aufeinander abgestimmter Statements zum Arbeitsmarkt und insbesondere dem Kündigungsschutz haben führende Unionspolitiker am Wochenende für heilloses Durcheinander gesorgt: In den Sonn- und Montagsausgaben von "Bild", "Tagesspiegel" und der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" warfen sie widersprüchliche und zum Teil äußerst kontroverse Aussagen in die Diskussion. Den Vogel schoss dabei der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff ab, der am Samstag nachdrücklich für die generelle 40-Stunden-Woche und eine Arbeitszeitverlängerung bei VW eintrat - um diese dann nicht einmal 48 Stunden später in der "Neuen Presse" als "völlig absurd" zu bezeichnen.

 

Unionsvize Friedrich Merz bläst seinerseits zum nächsten Angriff auf den Kündigungsschutz. "In der Schweiz gibt es keinen Kündigungsschutz - und Vollbeschäftigung", so Merz' tiefschürfende Erkenntnis gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung." Wulff, der als Vertreter Niedersachsens im VW-Aufsichtsrat sitzt, zeigte sich durch seinen soeben erst eindrucksvoll demonstrierten Mangel an Expertise keineswegs geniert und legte nach, das Kündigungsschutzgesetz sei schädlich für die Arbeitnehmer: "Wenn es wirklich die Menschen vor der Arbeitslosigkeit bewahren würde, dann hätten wir hier nicht sechs Millionen Arbeitslose." Da sollte er vielleicht einmal die Meinung der Münchener ICN-MitarbeiterInnen hören, die scharenweise mit eben diesem Gesetz ihre Ansprüche auf Arbiet durchsetzten, anstatt auf dem Arbeitsamt zu landen.

 

Auffällig bei Merz wie Wulff ist, dass beide es offenbar nicht für nötig halten, ihre Milchmädchenrechnungen in irgendeiner stichhaltigen Form zu begründen; ebenso gut kann man behaupten, in der Schweiz gebe es keinen Friedrich Merz und daher Vollbeschäftigung - oder ohne den Kündigungsschutz wären in Deutschland nicht sechs Millionen arbeitslos, sondern zwölf.

 

Ausgerechnet die CSU trat den Scharfmachern mit eben diesem Hinweis auf mangelnde Beweise für sachliche Zusammenhänge in den Beispielen ihrer Fraktionskollegen entgegen. Der ehemalige Gesundheitsminister und jetzige CSU-Sozialpolitiker Horst Seehofer stellte fest, es gebe "keinen Beleg, dass die Lockerung oder gar der Wegfall des Kündigungsschutzes zu mehr Beschäftigung führt". Der Vorsitzende des Arbeitnehmerflügels der CSU Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA), Hermann-Josef Arentz, kommentierte, Merz benehme sich "wie die Axt im Walde." Die jetzigen Regelungen seien flexibel genug, der Kündigungsschutz gerade in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und drohenden Arbeitsplatzverlustes ein wichtiges Instrument für Arbeitnehmer, "den Arbeitgebern wenigstens halbwegs auf gleicher Augenhöhe" zu begegnen.

 

CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer hatte die Debatte in der vergangenen Woche angestoßen, als er ein Konzept für mehr Wachstum und Beschäftigung vorstellte, das den Kündigungsschutz bei Neueinstellungen in kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie bei über 53-Jährigen aushebelt; im selben Zug sollen Beschäftigte teilweise auch unter Tarif bezahlt werden können.

 

CDU-Chefin Angela Merkel scheint von der Diskussion im eigenen Lager etwas überrumpelt und wollte sich nicht äußern, ob bzw. wie Meyers Ideen sich im offiziellen Parteikonzept wiederfinden werden.

 

IG-Metall-Chef Jürgen Peters sieht angesichts der Diskussion die Arbeitnehmerrechte bedroht: "Teile der Konservativen und des Kapitals sehen offenbar die Zeit gekommen, Arbeitnehmerrechte zu schleifen, die Profite nach oben zu treiben und den Arbeitnehmern noch tiefer in die Tasche zu greifen", so Peters gegenüber dem "Tagesspiegel am Sonntag." Der Zweite Vorsitzende Berthold Huber warnte seinerseits in der "Welt am Sonntag" vor einer Radikalisierung auf der Arbeitgeberseite": "Ich habe die Befürchtung, dass einige Arbeitgeber den Häuserkampf in den Betrieben geradezu herbeisehnen."

 

(hr)