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03.07.2024, 23:07 Uhr

Gewerkschaften unter Wert gehandelt

  • 07.05.2010
  • Allgemein

Unter dem Titel "Der Vorrang des Menschen" erschien zum Tag der Arbeit ein lesenswerter Kommentar in der Süddeutschen Zeitung. Die Botschaft: Der Kapitalismus ist vom Mittel zum Zweck mutiert, und die Gewerkschaften spielen eine wesentliche Rolle bei der Aufgabe, diese Fehlentwicklung zu korrigieren oder zumindest ihre schlimmsten Auswüchse abzufangen.

Autor Detlef Esslinger, seit fast 20 Jahren für wechselnde Aufgaben bei der "SZ" verantwortlich, macht die Auswüchse des aus dem Ruder gelaufenen Kapitalismus' eingangs an einer Anekdote deutlich: Da hat ein Bank-Manager eine Mail an mehrere Filialleiter gesendet, in der er unter anderem kritisiert, dass bei den Verkaufsvorgaben für Kredite und Versicherungsverträge "keine Filiale bisher die 200 Prozent erreicht hat."

"Das ganze Elend des Kapitalismus"

Esslinger bringt auf den Punkt, was dieser auf den ersten Blick vielleicht gar nicht so schockierende Satz bei genauerem Hinsehen bedeutet: "Im Grunde aber handelt es sich um einen Satz, der das ganze Elend des Kapitalismus zusammenfasst, zumindest dessen hässliche und verhängnisvolle Seite." Die nämlich zeige sich darin, dass er nicht mehr Bedürfnisse befriedigen und Wohlstand für die Menschen gewährleisten, sondern sie zu immer mehr Leistung treiben will: "Das Bedrückende am Kapitalismus besteht doch darin, dass er sich längst nicht mehr als Mittel, sondern als Zweck begreift."

Gewerkschaften unter Wert gehandelt

Hier schlägt Esslinger den Bogen zum 1. Mai 2010, der sein Motto "Wir gehen vor!" einem System entgegensetzt, das Menschen auf ihre Funktion reduziert, die sie früher zu 100 Prozent, jetzt zu 200 und irgendwann vermutlich zu 300 erfüllen sollen. Gewerkschaften gälten "nicht wirklich als chic", schätzt der Autor, was sich am 1. Mai daran zeige, dass die Masse der Menschen ihn vor allem als bundesweiten Feiertag zu schätzen weiß. Das freilich bewertet er als Fehler: "Wahrscheinlich aber sind Gewerkschaften die am meisten unter Wert gehandelten Organisationen überhaupt."

Die richtigen Fragen stellen

Bemerkenswert ist diese Bewertung umso mehr, weil Esslinger durchaus fähig zu Kritik an Gewerkschaften und ihren Vertretern ist. Entscheidend scheint ihm offenbar jedoch die Erkenntnis, ihre wahre Bedeutung erkenne man am besten dort, wo es gar keine gibt - "in Ländern wie in Branchen: In den einen wie in den anderen geht es dann relativ diktatorisch zu." Um derlei Fehlentwicklungen gegenzusteuern, ist aus seiner Sicht eine Bedingung erforderlich, die von Gewerkschaften erfüllt wird: "dass da Menschen sind, die es sich leisten können, die richtigen Fragen zu stellen."

Den vollständigen Kommentar aus der Süddeutschen Zeitung vom 1. Mai 2010 mit dem Titel "Der Vorrang des Menschen" finden Sie <link http: www.sueddeutsche.de wirtschaft text _blank external-link-new-window>undefinedHIER online.