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03.07.2024, 23:07 Uhr

Stellenabbau "ein Skandal"

  • 06.03.2008
  • Allgemein

Der erste IG Metall-Vorsitzende Berthold Huber äußerte sich zur aktuellen Diskussion über Konflikte zwischen Unternehmenspolitik und ethischen Normen, zur Beteiligung von Beschäftigten am Aufschwung, der Zukunft von Tarifverträgen und der zentralen Bedeutung der Mitgliederentwicklung für die IG Metall.

Kritisiert kurzsichtige Unternehmenspolitik:<br>Berthold Huber.

Im <link http: www.welt.de wams_print article1746437 was_tun_sie_gegen_jobabbau_herr_huber.html _blank external-link-new-window>Berthold HuberInterview mit der "Welt am Sonntag" erklärte Huber, die Mitgliederfrage sei aus seiner Sicht zentral in den kommenden Jahren: "Eine freie Gewerkschaft lebt von ihren Mitgliedern und ihren Beiträgen. Wir wollen in diesem Jahr 110.000 neue Mitglieder gewinnen."

Gewinne müssen auch bei Beschäftigten ankommen

Gleichzeitig will die IG Metall ihre Verankerung in der Politik quer durchs Parteienspektrum verbessern, und natürlich: "Wir wollen dafür sorgen, dass die Menschen fair am Aufschwung beteiligt werden. Die hohen Gewinne der Unternehmen dürfen nicht nur in höhere Ausschüttungen und Managergehälter gehen, sondern müssen auch bei den Beschäftigten ankommen."

Moral nicht nur in Sonntagspredigten

Dass mehrere Konzerne trotz ihrer Milliardengewinne den Abbau Tausender Stellen angekündigt haben , kommentiert der IG Metall-Vorsitzende ohne Umschweife: "Das ist ein Skandal. Die Unternehmen setzen nur noch auf kurzfristige Gewinne und vernachlässigen die langfristige Perspektive. Mit solchen Entscheidungen, ihren ausufernden Managereinkommen und mit Steuerflucht verstoßen die Manager gegen ethische Normen unserer Gesellschaft." Huber selbst bezeichnet sich als "zutiefst davon überzeugt, dass unser deutsches Erfolgsmodell nur dann eine Zukunft hat, wenn Moral nicht nur am Sonntag gepredigt, sondern auch gelebt wird."

In dieser Diskussion spielt bekanntlich unter anderem die oft überzogen hohe Vergütung für Toppmanager eine Rolle. Huber spricht ohne Vorbehalte über sein eigenes Gehalt, das sich in der Tat vergleichsweise bescheiden ausnimmt: "Die Manager müssen sich auf ihre Vorbildfunktion besinnen. Ich zum Beispiel habe im vergangenen Jahr 218.000 Euro verdient und arbeite auch nicht weniger als so mancher Manager. Dann habe ich noch zwei Aufsichtsratsmandate bei Audi und Siemens. Aber von meinen Tantiemen - bei Siemens sind es rund 133 000 Euro - führe ich den Löwenanteil von etwa 90 Prozent an die Hans-Böckler-Stiftung ab. Der Rest wird selbstverständlich ordentlich versteuert."

Wertedebatte nötig

Eine gesetzliche Begrenzung etwa der Manager-Gehälter hält Huber dennoch für ungeeignet und glaubt angesichts der grundlegenden Bedeutung der gesamten Thematik für die Gesellschaft vielmehr: "Wir brauchen eine Wertedebatte. Wir müssen uns fragen: Ist es richtig, die anderen zu hintergehen und den Staat übers Ohr zu hauen? Ich fürchte, dass sich sonst immer mehr Menschen enttäuscht von diesem Staat und seinem Wirtschaftssystem abwenden werden."

Tarifpolitik orientiert an Gesamtwirtschaft und Arbeitswelt

Auf die Frage nach einer möglichen Signalwirkung des Tarifabschlusses in der Stahlindustrie differenziert Berthold Huber: "Man sollte einen Abschluss nicht als Maßstab für alle Branchen erklären. [...] Es gibt derzeit Risiken für die Beurteilung der wirtschaftlichen Entwicklung in der Metall- und Elektroindustrie. Das sehen wir im Herbst klarer und treffen unsere Entscheidungen. Die IG Metall betreibt eine Tarifpolitik, die die Orientierung an der Gesamtwirtschaft zur Grundlage hat."

Dies lässt sich sinngemäß von Branchen über ihre Unternehmen bis hin zu unterschiedlichen Beschäftigungsgruppen übertragen. Der Flächentarifvertrag hat sich dennoch keineswegs überlebt, aber er muss "filigraner" werden: "Wir leben in einer Zeit, in der die wirtschaftliche Lage selbst zwischen Unternehmen einer Branche so unterschiedlich ist, dass wir Antworten darauf finden müssen. In den letzten vier Jahren haben wir rund 1.200 ergänzende Tarifverträge verhandelt, um die Probleme der jeweiligen Unternehmen aufzugreifen. [...] Das ist verdammt viel Arbeit, aber es ist näher dran an den Menschen und an den Betrieben. [...] Wir müssen akzeptieren, dass es Differenzen in den beruflichen Beanspruchungen gibt. Die Arbeitszeitbedürfnisse eines Ingenieurs und eines Schichtarbeiters sind unterschiedlich. [...] In fünf oder zehn Jahren werden wir Wahlmöglichkeiten für die Beschäftigten haben. Wenn wir beispielsweise eine Lohnerhöhung aushandeln, können die Mitarbeiter selbst entscheiden, wie sie diese ausgezahlt haben wollen: ob in Bargeld oder in Freizeit oder als Rücklage für das Alter. Das ist zumindest meine Vision."