Siemens Dialog
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03.07.2024, 23:07 Uhr

Zeit für Gesundheit

  • 27.10.2005
  • Allgemein

Beim diesjährigen Betriebsrätinnen-Seminar ging es vor allem um eines: Gesundheit am Arbeitsplatz. Psychische Belastungen nehmen zu, für ältere ArbeitnehmerInnen wird wenig getan. Und zudem gibt es viele geschlechterspezifische Aspekte beim Arbeits- und Gesundheitsschutz.

Insgesamt umfasst das Betriebsrätinnen-Netzwerk bei Siemens 83 engagierte Frauen. 33 von ihnen waren aus Siemensbetrieben in der ganzen Republik vom 24.10 bis 26.10. im Landgasthof Hessenmühle in der Nähe von Fulda zum alljährlichen Betriebrätinnen-Seminar zusammengekommen. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand dieses Jahr das Thema „Gesundheit“. Neue Herausforderungen in der betrieblichen Gesundheitspolitik wurden diskutiert, geschlechterspezifisch. Denn es gibt erhebliche Unterschiede zwischen den beiden Geschlechtern - auch wenn es um Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten und Arbeitsunfähigkeit bzw. Frühverrentung geht. Frauen sind am Arbeitsplatz meist anderen Belastungen ausgesetzt als die männlichen Kollegen. Frauen erkranken bei gleichen Belastungen nicht unbedingt an denselben Krankheiten wie Männer. Auch der betriebliche Arbeits- und Gesundheitsschutz muss sich darauf einstellen. „Gegenderter“ Gesundheitsschutz muss sich also daran orientieren, ob es sinnvoll ist, eine vorbeugende Maßnahme für beide Geschlechter in derselben Form durchzuführen. Angefangen bei individuellen Einstellungen des Arbeitsplatzes (Arbeitshöhen sind bei Frauen anders als bei Männern) bis zu Stressfaktoren, die auf Frauen anders wirken als bei ihren männlichen Kollegen.

Psychische Belastungen am Arbeitsplatz nehmen zu

Psychische Belastungen - gerade im Angestelltenbereich - nehmen statistisch gesehen deutlich zu. Und davon sind Frauen unter Umständen stärker betroffen als Männer. Georg Nassauer, der als GBR-Vertreter zu der Veranstaltung gekommen war, führte das deutlich aus: „Die gesundheitsschädliche psychische Belastung wird noch ein zentrales gesellschaftliches Thema werden.“ Der erhöhte Anspruch an die Produktivität in Verbindung mit dem daraus resultierenden Leistungsdruck führt zwangsläufig auch zu psychischen Druck bei den ArbeitnehmerInnen. Die Vertrauensarbeitzeit, die Siemens standortübergreifend einführen möchte, setzt dem noch „die Krone auf“, so Nassauer. Denn ohne Stechuhr und mit Vertrauensarbeitszeit kann überhaupt keine sinnvolle Kontrolle mehr stattfinden und die Beschäftigten werden dadurch „erpressbar ohne Ende“. Der Vorschlag der Betriebrätinnen Richtung GBR: Eine Umfrage über die Belastung der Verwaltungsangestellten durch die zunehmende „Arbeitsverdichtung“ am Arbeitsplatz könnte den nach face value durchaus vorhandenen Anstieg der psychischen Belastung auch empirisch nachweisen. Gesicherte Erkenntnisse könnten dabei helfen, auch konkrete Gegenmaßnahmen zu steuern.

Die allgemeine Unsicherheit in der Gesellschaft, die um sich greifende Angst um den eigenen Arbeitsplatz, Stellenabbau, zunehmender Stress bei dünnerer Personaldecke. Alle diese Faktoren mutieren nicht selten zum gesundheitsgefährdenden Dauerdruck. Doch im Augenblick lässt sich die Problematik kaum anhand von Daten untermauern. Zudem ist der Themenkomplex „Psychische Belastungen am Arbeitsplatz“ nach wie vor mit einem großen Tabu versehen, über das kaum gesprochen wird. Und schon gar nicht vonseiten der Geschäftsleitung. Umso wichtiger ist es, im betrieblichen Gesundheitsschutz das Thema nicht zu vernachlässigen. Denn genauso häufig wie Rückenleiden dürften seelische Leiden die Folge von Arbeitsplatzbedingungen sein, die sich nicht am Menschen (und damit an der Frau), sondern nur noch am Geschäftserfolg orientieren.

Gesundheitsarbeitskreis und geschlechter- und altersspezifische Maßnahmen

Beim Betriebsrätinnen-Seminar stellte man auch fest, das die Struktur für den Gesundheitsschutz bei Siemens eigentlich vorhanden ist: Es gibt einen Gesundheitsarbeitskreis mit VertreterInnen der Arbeiternehmerseite und MitarbeiterInnen der Arbeitgeberseite: Personalabteilung, Sozialberater/in, Betriebsarzt bzw. -ärztin sowie ein/e Sicherheitingenieur/in (für den Arbeitsschutz zuständig) sowie ein/e Vertreter/in der SBK (Siemens Betriebskrankenkasse) sind in diesen betrieblichen Arbeitskreisen vertreten. Ein Ziel für die Gesundheitsarbeit in den Betrieben muss daher lauten, die frauenspezifischen Anliegen in diese Gremien einzubringen. Immer unter der Berücksichtigung, dass bestimmte Maßnahmen sich auf Frauen und Männer unterschiedlich auswirken. Außerdem gibt es in den Betriebsräten Gesundheits- und Suchtbeauftragte, die für das Thema „Gesundheit am Arbeitsplatz“ zuständig sind. Oberste Prämisse sollte für sie immer sein, sensibel und situationsbezogen auf die jeweiligen Gegebenheiten einzugehen. Gesundheit ruiniert man sich nicht selten so ganz nebenbei - weil niemand Zeit für das Thema findet vor lauter Arbeit.

Gesundheit betrifft jede Arbeitnehmerin - und jeden Arbeitnehmer, aber insbesondere die älteren. Der Prozentsatz dieser Gruppe wird immer höher - und darauf kann man sich auch bei der Betriebsratsarbeit einstellen, zum Beispiel durch alterstabile Arbeitsplätze. Und auch durch den im neuen Arbeitsschutzgesetz definierten Präventionsgedanken. Denn wer gesund bleibt, kann auch in den letzten Jahren des Berufsleben noch entsprechend leistungsfähig sein. Im Augenblick gestaltet sich das Problem der immer älter werdenden Arbeitnehmerschaft bei Siemens nicht selten folgendermaßen. Nischen, in denen früher leistungsgeminderte Arbeitnehmer gut integriert werden konnte, gibt es kaum noch - eine Folge davon, dass solche Bereiche wie etwas die klassische „Poststelle“ inzwischen outgesourced wurden. Die Überalterung nimmt zu - und obwohl es eine besonderen Kündigungsschutz für die älteren Mitarbeiter gibt, die etwa nach 10jähriger Betriebszugehörigkeit und bei einem Alter von 55 Jahren als Jubilare gelten, wird kaum etwas dafür getan, auch an den geeigneten Arbeitsbedingungen und einer Entlastung für diese Arbeitnehmergruppe zu feilen. Eine Betriebsvereinbarung für leistungsschwächere ältere MitarbeiterInnen könnte diese Lücke schließen. Ein weiterer Vorschlag des Betriebsrätinnen-Workshops: eine nach Geschlecht und Alter aufgeschlüsselte Unfallstatistik.

Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Auch über Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Hinblick auf Elternzeit, Teilzeit- und Schichtarbeit wurde bei dem dreitätigen Seminar diskutiert. Einer Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung zufolge sehen Frauen den größten Handlungsbedarf für die Familienfreundlichkeit von Betrieben in der Umsetzung familienfreundlicher Arbeitszeiten. Weitere Themen: Die anstehende ERA-Einführung 2007 sowie die tarifvertragliche Sondervereinbarung. Der Siemens Dialog wird auch über diese Thema ausführlich berichten.

Wer Kontakt zum Betriebsrätinnen-Netzwerk aufnehmen oder selbst Mitglied der Initiative werden möchte, soll sich bei <link>Uta Brenner, der stellvertretenden Sprecherin des Gleichstellungsausschusses des Gesamtbetriebsrats melden.