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03.07.2024, 17:07 Uhr

Wieviel Geld ist durch den Schornstein?

  • 06.11.2002
  • Allgemein

Sonderdotierung „in Höhe eines niedrigen einstelligen Milliarden-Euro-Betrags“ für Pensionsfonds

Schwache Konjunktur, trudelnde Börse, immer neue Sparpläne der Regierung und obendrein stetig weiter schrumpfende Wachstumsprognosen auch fürs nächste Jahr - kein Wunder, dass Verantwortliche in Politik und Wirtschaft Probleme nach Kräften klein reden möchten. So auch Heinrich von Pierer Ende Oktober bei einer Rede vor Führungskräften: „Niemand bei uns im Unternehmen muss sich um seine Ansprüche auf Betriebsrente Sorgen machen.“ Außerdem habe man, so wiegelte er weiter ab, „eine freiwillige Sonderdotierung in Höhe eines niedrigen einstelligen Milliarden-Euro-Betrags für die Pensionspläne in Deutschland, den USA und England zu Verfügung gestellt“, der „überwiegend aus frei verfügbaren Liquiditätsreserven“ stamme.

Wie so oft ist das alles richtig, aber eben nur die halbe Wahrheit. Die Mitarbeiter brauchen sich tatsächlich keine Gedanken um ihre Altervorsorge zu machen, Siemens gewährleistet die Pensionen als Gesamtunternehmen, selbst wenn der dafür vorgesehene Fonds nicht reicht. Sollte, was wohl auch der hartnäckigste Pessimist nicht annimmt, der Konzern dazu irgendwann nicht mehr in der Lage sein, greift zudem die weitere Absicherung durch den Pensionssicherungsverein der deutschen Industrie. In dieser Hinsicht, so versichert auch Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger (Foto) allen, die es hören wollen, sind die Pensionen zweifelsfrei sicher.

Einige Fragen in diesem Zusammenhang allerdings bleiben trotz dieser beruhigenden Feststellung offen. So besteht die laut Pierer durch die „gute Liquiditätsposition“ ermöglichte „freiwillige Sonderdotierung“ natürlich aus Mitteln, die zwangsläufig an anderer Stelle schmerzhaft fehlen werden, sei es für Investitionen, Sanierungen oder auch - warum nicht - die Deckung der fortwährend bejammerten Personalkosten. Ein anderer Punkt ist die Beschränkung auf bestimmte Länder: Amerikaner und Briten können sich über die Sonderdotierung freuen, Deutsche sind dazu noch durch den Pensionssicherungsverein aus dem Schneider - wo aber bleiben die Beschäftigten in den restlichen rund 185 Siemens-Ländern?

Unklar ist auch was passiert, wenn sich Aktien und Börsen nicht mittelfristig erholen. Die aktuellen Prognosen der Wirtschaftsinstitute klingen uni sono düster. Dem trägt Siemens nun Rechnung und hat diskret begonnen, den Anteil der Aktien am Pensionsfonds von ursprünglich über 60 auf derzeit 25 Prozent zu reduzieren. Speziell die momentan nahezu unberechenbaren Infineon-Papiere tragen nur noch rund fünf Prozent bei. Dennoch kann sich die Unterdeckung bei entsprechender Entwicklung im kommenden Jahr wiederholen, schlimmstenfalls sogar noch wachsen. Da klingt es verdächtig nach Pfeifen im dunklen Wald, wenn Pierer auf die theoretische Möglichkeit hinweist, ein möglicher Börsenaufschwung verringere die Unterdeckung, über die nächsten Jahre könne daraus auch eine Überdeckung werden.

Sollten sich die Forderungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) durchsetzen, kann man das aus Sicht der Siemens-Chefetage nur hoffen: Leitungsgremien oder Fondsverwalter sollen demnach persönlich haftbar gemacht werden können, wenn sie die Interessen der Teilnehmer an betrieblichen Pensionsplänen missachten. Vielleicht wäre das ein Grund mehr, wieder zur alten Integration der Pensionskassen in die Gesamtbilanz zurückzukehren. Die Auslagerung, von Siemens Anfang 2000 vollzogen, ist ursprünglich vor allem eine amerikanische Idee mit dem Ziel, einen geringen Einsatz durch positive Aktienentwicklung auf die benötigte Summe wachsen zu lassen, ohne eventuelle Rückschläge bilanzieren und so die Aktionäre beunruhigen zu müssen.

Das aber geschieht nach dem Ende des ungehemmten Wachstums dennoch, mit zuweilen noch verheerenderen Folgen: Aktien stürzen ab, wenn Unternehmen zähneknirschend ihre durch erfolglose Anlegestrategie erwirtschafteten Pensionsdefizite veröffentlichen. Bei Siemens soll Neubürger am 13. November mit der konkreten Höhe des „niedrigen einstelligen Milliardenbetrags“ für die Sonderdotierung herausrücken.