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03.07.2024, 21:07 Uhr

"Tarifpolitik kann Probleme des Finanzsystems nicht lösen"

  • 07.10.2008
  • Allgemein

"Kanne voll, Tasse leer - acht Prozent müssen her" - mit diesem Spruch unterstrichen Arbeitnehmer vergangene Woche die Tarifforderung der IG Metall bei der ersten Verhandlung der laufenden Tarifrunde. Der erste IG Metall-Vorsitzende Berthold Huber rückte parallel einige Missverständnisse gerade - zum Beispiel über den Zusammenhang mit der Finanzkrise.

Der bundesweite Verhandlungsauftakt in Darmstadt bestand im wesentlichen so viel war schon im Vorfeld zu erwarten gewesen, im beiderseitigen Definieren der Positionen. Der Frankfurter Bezirksleiter und IG Metall-Verhandlungsführer Armin Schild übernahm das für die Arbeitnehmerseite: "Die Arbeitgeberseite muss sich im Klaren sein, dass die IG Metall mit massiven Warnstreiks den Druck sofort erhöht, wenn die Friedenspflicht abgelaufen ist."

Rhetorisches Sperrfeuer der Arbeitgeber

Wie gehabt legten die Arbeitgeber ihrerseits keine Zahl auf den Tisch, sondern eröffneten das rhetorische Sperrfeuer, unter dem sie sich dann irgendwann im Verlauf der Verhandlungen zu einem eigenen Angebot bequemen werden: "Überzogen, unverantwortlich und unerfüllbar" finden sie die Forderung nach acht Prozent, und wollen statt dessen angeblich "faire Erhöhungen für alle Beschäftigten".

"Tarifpolitik kann die Probleme des Finanzsystems nicht lösen"

Im <link http: www.faz.net s rub0e9eef84ac1e4a389a8dc6c23161fe44 external-link-new-window>Interview mit der FAZ räumte Berthold Huber derweil mit der im Arbeitgeberlager wohl willkommenen Befürchtung auf, angesichts der Finanzkrise müsse man kleine Brötchen backen. "Tarifpolitik kann die Probleme des Finanzsystems nicht lösen. Die Bundesregierung übernimmt über Nacht eine Bürgschaft für eine Bank, die sie mehr als 26 Milliarden Euro kosten kann. Unsere Tarifforderung für 3,5 Millionen Menschen umfasst ein maximalesVolumen von 14,4 Milliarden Euro. Und an dieser Forderung, wohlgemerkt nicht dem Abschluss, soll die Welt zerbrechen? Entschuldigung, aber das kann doch nicht ernst gemeint sein."

Mitgliederinteressen entscheidend

Auch die Kritik, gerade jetzt die höchste Lohnforderung seit 16 Jahren zu stellen, lässt Huber nicht gelten. Ihm sei "schon klar, dass die Unternehmer über die 8 Prozent stöhnen", aber: "Das Gefühl an der Basis ist eher über 8 Prozent als darunter. Wir sind doch weder beim Politbüro angesiedelt, noch sind wir der Transmissionsriemen der Wirtschaft, sondern wir vertreten die Interessen unserer Mitglieder."

Es geht auch um Gerechtigkeit

Selbstbewusst vertritt Huber auch die Entscheidung, neben den Kennzahlen von Inflation und Produktivität einen Gerechtigkeitsausgleich für vergangene Entwicklungen der M+E-Branche einzubeziehen. Dass das wirtschaftliche Umfeld dazu nicht optimal ist, räumt er ohne Zögern ein, betont aber: "In der Realwirtschaft haben wir aber doch solide Verhältnisse. [...] Ich kenne bisher keine Fälle von soliden Unternehmen in Deutschland, die keine Kredite mehr erhalten. Außerdem ist die Eigenkapitalquote der deutschen Unternehmen in den letzten Jahren deutlich gestiegen."

Eine Koppelung der Lohnerhöhung an die Ertragslage - Stichwort Gewinnbeteiligung - kann sich der IG Metall-Vorsitzende im Prinzip gut vorstellen. Er verweist auf einen entsprechenden Vorschlag der IG Metall im Zusammenhang mit dem Pforzheimer Modell von 2004; der aber wurde damals von einer großen Mehrheit der Arbeitgeber abgelehnt: "Ich bin es leid, von der Arbeitgebern immer nur zu hören: Das geht nicht. Die sollen mal sagen, was sie wirklich bereit sind zu tun."

Selten so viel Druck wie heute

Zu guter Letzt geht Huber auf den zeitlichen Rahmen für einen friedlichen Abschluss und die mögliche Alternative - einen Arbeitskampf - ein. Streik bleibt aus seiner Sicht "nach wie vor die Ultima Ratio, alles andere wäre fahrlässig." Ihm ist an einer schnellen Lösung gelegen, ohne ewiges Hin und Her, ohne Verhandlungsrituale: "Wir streben deshalb im Oktober einen Abschluss an. Warnstreiks sind für uns kein Selbstzweck und die Forderung ist nicht komplex, es geht nur um Geld. Ich bin gespannt, ob die Arbeitgeber das hinkriegen." Kriegen sie es nicht hin, ist eine harte Auseinandersetzung allerdings unvermeidlich: "Ich will das mal ohne taktisches Kalkül sagen. Ich habe selten so viel Druck verspürt."

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