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03.07.2024, 21:07 Uhr

Neue Altersteilzeit: "arbeitspolitischer Meilenstein"

  • 04.09.2008
  • Allgemein

Die Tarifparteien in Baden-Württemberg haben sich am Mittwoch nach sieben erfolglos vorangegangenen Verhandlungsrunden auf einen neuen Tarifvertrag für die Altersteilzeit geeinigt. Er tritt am 1. Januar 2010 für die rund 800.000 Beschäftigten in der baden-württembergischen M+E-Industrie in Kraft und hat Pilotcharakter für die anderen Tarifbezirke.

Beschäftigte in Schichtarbeit und mit dauerhaft hoher Belastung können nach der Vereinbarung in Zukunft mit 60 Jahren in die Freistellungsphase gehen. Außerdem profitieren untere Entgeltgruppen von der neuen Tarifregelung durch verbesserte Aufstockungsleistungen.

Betriebliche Regelungen werden weiter im Vordergrund stehen, wobei bestehende Betriebsvereinbarungen über 2009 hinaus fortgeführt werden können, und für neue die derzeitigen materiellen Mindestbedingungen von heute gesichert und teilweise verbessert werden.

Die Aufstockungsbeträge zum Entgelt während der Altersteilzeit erhöhen sich deutlich, so dass während der Altersteilzeit zwischen 89 (untere Entgeltgruppen) und 85 (hohen Entgeltgruppen) Prozent des bisherigen Nettoentgelts abgesichert werden. Zudem nehmen die Altersteilzeitler nach der neuen Regelung im Gegensatz zu bisher auch in der Freistellungsphase voll an den Tarifentwicklungen teil.

Auszüge der neuen Regelung für Baden-Württemberg

Künftig haben bis zu vier Prozent der Beschäftigten Anspruch auf einen Altersteilzeitvertrag, wenn sie mindestens 12 Jahre dem jeweiligen Betrieb angehören. Innerhalb dieser Quote sind bis zu 2,5 Prozent der ATZ-Plätze für besonders belastete Beschäftigte reserviert, also solche, die:

- während der letzten 12 Jahre mindestens 9 Jahre beim derzeitigen Arbeitgeber regelmäßig in drei oder mehr Schichten mit Nachtschicht oder nur in Nachtschicht gearbeitet haben,

- unter besonders starken Umgebungseinflüssen gearbeitet haben, die über mittlere Belastungen hinausgehen,

- während der letzten 15 Jahre mindestens 12 Jahre beim derzeitigen Arbeitgeber in Wechselschicht gearbeitet haben.

Alle anderen Beschäftigten können künftig Altersteilzeit mit einer Dauer von bis zu vier Jahren in Anspruch nehmen, endend mit dem abschlagsfreien Rentenzugang.

Die Tarifparteien haben sich weiter darauf verständigt, dass in Betrieben in denen dieser Anspruch von mehr als 2,5 Prozent der Beschäftigten genutzt wird, der Arbeitgeber einen Antrag dann ablehnen kann, wenn er entsprechend zusätzliche Ausbildungsplätze zur Erhöhung der Ausbildungsquote oder eine Förderung der persönlichen Weiterbildung durch Stipendien oder Freistellungen in Abstimmung mit dem Betriebsrat anbietet.

Die Finanzierung

Die durch diesen Tarifvertrag entstehenden Kosten werden paritätisch finanziert. Der Arbeitnehmerbeitrag ist auf 0,4 Prozent der Entgeltsumme begrenzt, die im Rahmen einer künftigen allgemeinen Tariferhöhung kompensiert werden; die Arbeitgeber bringen einen zusätzlichen Anteil in mindestens der gleichen Höhe ein. Wird der Tarifvertrag gekündigt, erhöhen sich die Werte der dann gültigen Entgelttabellen automatisch um 0,4 Prozent. Gibt es zukünftig eine Förderung von Altersteilzeit durch die Bundesagentur für Arbeit, so soll sie für Maßnahmen zusätzlicher Ausbildungsplätze und Förderung persönlicher Weiterbildungsmaßnahmen genutzt werden.

Der neue Tarifvertrag in Baden-Württemberg tritt zum 1. Januar 2010 in Kraft und kann frühestens zum 31. Dezember 2016 gekündigt werden. Die bisherigen Tarifverträge Altersteilzeit und Beschäftigungsbrücke werden durch den neuen Tarifvertrag ersetzt.

Bundesweiter Pilotcharakter angestrebt

Der Baden-Württemberger Abschluss hat bundesweiten Pilotcharakter. Inwiefern er unverändert auf die anderen Bezirke übertragen wird, muss sich allerdings in den kommenden Tagen zeigen. Die ursprünglich zwischen IG Metall und Gesamtmetall vereinbarte Übernahme für die anderen Bezirke war im Lauf der Verhandlungen aufgegeben worden, weil sie sich auf Grund des Widerstands formal unbeteiligter Arbeitgeberverbände anderer Bezirke als zu großes Hindernis für eine Einigung erwiesen hatte. Der Vorstand der IG Metall hatte daraufhin im Juli die IG Metall Baden-Württemberg beauftragt, mit Südwestmetall einen regionalen Tarifvertrag zur Altersteilzeit mit dem Ziel abzuschließen, das Ergebnis auf alle anderen Tarifbezirke zu übertragen.

Erfolg der Tarifpolitik

Der erste IG Metall-Vorsitzende Berthold Huber geht entsprechend von einer bundesweiten Übernahme aus und bekräftigte nach der Einigung in Baden-Württemberg: "Ich kann und will mir nicht vorstellen, dass es in dieser Republik noch einen Metallarbeitgeberverband gibt, der sich jetzt verweigert. Die IG Metall jedenfalls will die Übernahme." Inhaltlich bewertete er die Einigung als "arbeitspolitischen Meilenstein, von dem nicht nur der Einzelne und die Unternehmen, sondern auch die Gesellschaft profitiert." Der Gesellschaft bleibe mit diesem Erfolg der Tarifpolitik eine weitere Ungerechtigkeit erspart, so Huber: "Menschen, die in ihrem Arbeitsleben viele Jahre schweren Belastungen ausgesetzt waren, werden auch in Zukunft die Möglichkeit haben, flexibel aus dem Arbeitsleben auszuscheiden."